Jahrelang im Rollstuhl sitzen, als Kind, in der Schulzeit und Pubertät und das vollkommen ohne Grund.
Was wie ein Schicksal aus einem Hollywood-Drama klingt ist bei vier Kindern aus Ostholstein in der Nähe von Lübeck die grausame Realität gewesen.
Von 2010 bis 2016 soll die Mutter der Kinder bei Behörden und Ärzten angegeben haben, dass ihre Kinder schwer krank sind.
Arztberichte und Symptome sollen gefälscht bzw. erlogen worden sein.
Vor dem Lübecker Landgericht wird der Prozess nun verhandelt.
Lübeck/Schleswig-Holstein: Ein Betrug, der nicht nur Sozialleistungen erschlich, sondern auch Kinder über Jahre hinweg quälte.
Dies wirft die Staatsanwaltschaft einer 49-jährigen Frau aus Ostholstein vor. Nun muss sie sich vor dem Lübecker Landgericht verantworten. Am Donnerstag, den 22.08., fand der zweite Prozesstag statt.
Die Anklage wirft der Ostholsteinerin Misshandlung von Schutzbefohlenen und 18-fachen gewerbsmäßigen Betrug vor. Sechs Jahre lang soll sie vier ihrer fünf Kinder fälschlicherweise als krank ausgegeben haben, um Sozialleistungen zu bekommen.
Mutter zwingt gesunde Kinder im Rollstuhl zu sitzen
Zwischen 2010 und 2016 soll die Mutter ihren drei Söhnen (10,15,17) und ihrer fast 20-jährigen Tochter eingeredet haben, dass sie schwer krank sind.
Dabei soll sie Arztberichte gefälscht und Symptome ihrer Kinder vorgetäuscht haben. Die Kindern mussten laut Anklage mehrere Stunde am Tag, während sie in der Schule waren, im Rollstuhl sitzen. Immer wieder mussten diese dafür zu überflüssigen Arztbesuchen und Behandlungen, so dass ihre Kinder Fehlzeiten in der Schule ansammelten.
Wie SPIEGEL Online berichtet, zählten Rheuma, Arthritis, Asthma, die Bluterkrankheit und die sogenannte Glasknochenkrankheit zu den mutmaßlichen Krankheiten der Kinder.
Gegenüber dem Medienhaus meldet sich die Mutter zu Wort und spricht sich von jeglicher Schuld frei:
„Ich habe nichts davon getan. Ich habe alle nötigen Atteste vorgelegt und bis heute gibt es keine Untersuchungen meiner Kinder, die bestätigen, dass sie gesund sind und ich mithin gelogen habe“
Beim Prozessauftakt am Montag, den 19. August, schwieg sie vor Gericht.
Staatsanwältin Renate Hansen wiedersprach der 49-Jährigen:
„Sie hat ihren eigenen Kindern schwere Krankheiten eingeredet, die nicht bestanden. Weil sich die vier Minderjährigen vormittags nur im Rollstuhl bewegen durften, waren sie sozial und schulisch sehr beeinträchtigt.“
Geld und TV-Auftritte erschleichen
Die Anklage gibt ebenfalls an, dass sie insgesamt circa 140.000 Euro an Sozialleistungen erschlichen hat.
Am ersten Prozesstag wurde ein TV-Auftritt aus dem Jahr 2014 gezeigt, in dem die Angeklagte als starke Frau, die mit vier behinderten Kindern lebt, präsentiert wird.
Im selben Jahr berichtete auch SPIEGEL Online über die Mutter. Genau wie in der TV-Sendung, erklärte die Mutter dort, wie sehr sie sich bemühe, die Leiden ihrer Kinder zu lindern.
Mittlerweile fügte SPIEGEL einen Hinweis an den Anfang ihres Artikels aus 2014, wo sie auf den wohlmöglichen Betrugsfall hinweisen.
„Ich vermute, es ging meiner Mutter neben dem Geld auch um Aufmerksamkeit“, sagte die 27 Jahre alte älteste Tochter der Ostholsteinerin.
Diese hatte das Elternhaus schon vor Jahren verlassen. Ihre kleine Schwester soll gar gebeten haben, bei ihr leben zu dürfen.
„Meine Mutter hat den Kindern erzählt, ihre Krankheiten würden sich verschlimmern, wenn sie nicht im Rollstuhl säßen“, erklärt die 27-Jährige.
Schule baute wegen den Kindern um
Wie die BILD berichtet, wurde der zweite Prozesstag, am gestrigen Donnerstag, genutzt, um Zeugen aus dem schulischen Umfeld zu befragen.
Zwölf Lehrer von der Grundschule Lehnsahn und ein Schulbegleiter der Kinder waren unter anderem dort.
So soll die Schule extra für die Kinder Rampen und einen Fahrstuhl eingebaut haben, um eine barrierefreie Schule für die Rollstuhlfahrer zu sein.
Die Angeklagte soll demnach sogar mit einer Klage gedroht haben, sollten diese Maßnahmen nicht ergriffen werden.
Urteil wird im Oktober erwartet
2016 wurde der Fall unter die Lupe genommen, nachdem eine Amtsärztin Unstimmigkeiten in den Krankenakten der Kinder feststellte und Anzeige erstattete. Das Jugendamt hatte daraufhin sofort die Kinder in Pflegefamilien untergebracht.
Die drei Söhne wollten in der Zeit bereits zweimal aus der Obhut des Jugendamts ausbrechen und leben nun wieder vorerst bei der Mutter.
Insgesamt sind zehn Verhandlungstage vor der Jugendkammer des Landgerichts in Lübeck angesetzt. 43 Zeugen und sechs Sachverständige sollen angehört werden.
Ein Urteil wird für den Oktober erwartet.
Sollten sich die Vermutungen bestätigen, wäre es ein grauenhaftes Verbrechen. Die Kinder sollen körperliche und seelische Schäden davontragen.
Sie sollen irgendwann an einem Punkt angekommen sein, an dem sie selbst überzeugt davon sind, schwer krank zu sein.