Überleben im Dschungel: Annette Herfkens‘ Geschichte

1992 lebte Annette Herfkens den Traum. Sie war eine erfolgreiche Wall-Street-Händlerin mit einer blühenden Karriere, einem leidenschaftlichen Liebesleben und der ganzen Welt zu ihren Füßen. Doch als sie mit dem Mann, den sie liebte, ein Flugzeug bestieg, nahm alles eine plötzliche, erschreckende Wendung.

Annette Herfkens – verheerender Flug 474

Vor dreiunddreißig Jahren wurde die in den Niederlanden geborene Annette Herfkens zu einem, wie es schien, ultimativen romantischen Abenteuer mitgerissen. Ihr langjähriger Partner William – der Mann, den sie seit 13 Jahren liebte – hatte sie überredet, eine dringend benötigte Pause von ihrem hektischen Leben einzulegen.

William war Leiter der Vietnam-Niederlassung der Internationale Nederlanden Bank, und Annette war Händlerin. Nach sechs langen Monaten, in denen sie in verschiedenen Ländern arbeiteten, nahmen sie sich endlich Zeit füreinander. Diese Reise sollte ihr Wiedersehen sein – eine Gelegenheit, sich wieder näherzukommen und neue Energie zu tanken. Der Plan? Start in der pulsierenden Stadt Ho-Chi-Minh-Stadt, dann weiter zum traumhaften Küstenresort Nha Trang für Sonne, Sand und Gelassenheit.

Doch zusammen mit 23 anderen Passagieren an Bord von Vietnam Airlines Flug 474 nahm ihre Reise eine verheerende Wendung.

Unbehagen vor dem Flug

Als lebenslange Klaustrophobikerin spürte Annette Herfkens eine Welle des Unbehagens, als sie am 14. November 1992 die Yakovlev Yak-40 betrat. Das alte, sowjetisch gebaute Flugzeug sollte sie und ihren Verlobten zu den sonnigen Stränden von Nha Trang bringen.

Ihr Partner, den sie „Pasje“ nannte, versuchte, ihre Nerven mit einer kleinen Notlüge zu beruhigen: Der Flug würde nur 20 Minuten dauern.

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Doch als 40 Minuten vergangen waren und sie immer noch in der Luft waren, setzte Panik ein.

„Pasje sah mich ängstlich an. ‚Natürlich, so ein beschissenes kleines Spielzeugflugzeug stürzt so ab!‘, sagte ich und griff nach seiner Hand. ‚Es ist nur ein Luftloch – keine Sorge.‘ Aber er hatte recht, sich zu sorgen. Wir stürzten erneut. Jemand schrie. Es wurde stockdunkel. Sekunden später schlugen wir auf“, erinnerte sich Herfkens im Gespräch mit der New York Post.

Aufgewacht in einem Alptraum

Als sie das Bewusstsein wiedererlangte, brüllte der vietnamesische Dschungel um sie herum.

Ein fremder Körper lag über ihr. In der Nähe saß van der Pas noch angeschnallt in seinem Sitz – lächelnd, regungslos. Tot.

„Da kommt der Kampf-oder-Flucht-Instinkt auf“, sagte sie. „Ich habe definitiv Flucht gewählt“, erzählte Annette dem Guardian.

Ihre Erinnerungen an die Flucht aus dem Wrack sind verschwommen. „Es muss höllisch schmerzhaft gewesen sein, da rauszukommen“, sagte sie. „Ich muss aus dem Flugzeug gekrochen sein und mich irgendwie heruntergehievt haben. Und dann muss ich noch etwa 30 Meter weitergekrochen sein.“

Sie war schwer verletzt – ein zertrümmertes Hüftgelenk, ein gebrochener Oberschenkel, eine kollabierte Lunge und ein Knochen, der aus ihrem Kiefer ragte. Aber sie lebte. Und sie war nicht allein.

Umgeben von Toten

In den ersten Stunden nach dem Absturz war Annette nicht die einzige Überlebende.

Sie hörte Stöhnen, Schreie. Ein vietnamesischer Geschäftsmann gab ihr sogar Kleidung, nachdem ihr Rock zerrissen war. Doch nach und nach verstummten die Stimmen, eine nach der anderen.

Bald war sie nur noch von Toten umgeben.

Um zu überleben, nutzte sie Yoga-Atmung, um ihre Lungenverletzung zu kontrollieren – „Achtsamkeit, bevor wir alle das Wort kannten“, nannte sie es.

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Sie sammelte Regenwasser mit der Isolierung von den Flügeln des Flugzeugs und schürfte sich dabei die Ellbogen so stark auf, dass später Hauttransplantationen nötig waren.

„Alle zwei Stunden nahm ich einen Schluck“, sagte sie. „Und dann – gratulierte ich mir selbst. Und das hilft dir auch zu überleben.“

Die Welt dachte, sie seit tot

Zu Hause trauerten die Familien. Ihr Nachruf erschien in der Zeitung. Ihr Chef schickte ein Kondolenzschreiben. Doch ihr Kollege und enger Freund Jaime Lupa weigerte sich, aufzugeben.

„Als ich Annettes Vater vor meiner Abreise versprach: ‚Ich werde Ihre Tochter lebend zurückbringen‘, wurde er wütend“, sagte Lupa. „‚Du bist ein Idiot‘, rief er. ‚Sei realistisch!‘“

Am siebten Tag spürte Herfkens, wie ihre Kräfte schwanden. Doch am achten Tag geschah ein Wunder.

Ein vietnamesischer Polizist und sein Team trafen ein – sie trugen nur Leichensäcke bei sich.

Sie hatten nicht erwartet, jemanden lebend zu finden.

Annette Herkens‘ neues Leben nach der Tragödie

Nachdem sie auf einer provisorischen Trage den Berg hinuntergebracht worden war, kehrte Herfkens nach Hause zurück. Im Dezember nahm sie im Rollstuhl an der Beerdigung ihres Verlobten teil. Zu Neujahr konnte sie bereits wieder gehen. Im Februar 1993 war sie zurück an ihrem Bankjob.

Doch die Trauer blieb. Wut brodelte. Ihr Trauma verschwand nicht.

Jahre später heiratete sie Jaime Lupa – den Freund, der versprochen hatte, sie nach Hause zu bringen – und bekam zwei Kinder, Joosje und Max. Obwohl das Paar sich später trennte, schuf sie sich ein neues Leben, während sie an dem Dschungel festhielt, der sie beinahe umgebracht hatte.

„Wenn du akzeptierst, was nicht da ist, dann siehst du, was da ist“, sagte sie. „Ich akzeptierte, dass ich nicht mit meinem Verlobten am Strand war… Sobald ich das akzeptierte, sah ich, was da war – und das war dieser wunderschöne Dschungel.“

Ihr Mantra wurde zum Kern ihres Buches Als mein Leben vom Himmel fiel: Ich überlebte einen Flugzeugabsturz und bekam eine zweite Chance.

„Man lernt aus Verlusten“

Später wurde Annette auch eine inspirierende Rednerin und glaubt, dass nicht nur Glück sie rettete – sondern Instinkt.

„Ich war das jüngste Kind – ich wuchs mit viel Liebe auf – aber ich war oft allein. Meine Eltern sagten mir nicht, was ich tun oder fühlen sollte. So entwickelte ich Instinkte“, sagte sie.

Sie vermutet sogar, dass eine unerkannte ADHS ihr half, als Kind „erfindungsreich und charmant“ zu werden. „Wenn ich als Kind Ritalin bekommen hätte, hätte ich niemals die Eigenschaften entwickelt, die ich zum Überleben im Dschungel brauchte“, fügte sie hinzu.

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Als bei ihrem Sohn Max Autismus diagnostiziert wurde, wendete sie die gleiche Überlebensmentalität an: „Man muss um das trauern, was nicht da ist“, sagte sie. „Aber man muss sich auf das konzentrieren, was da ist. Das habe ich bei meinem Sohn gemacht.“

Sie schloss sich inklusiven Gemeinschaften an, knüpfte Kontakte zu Eltern aus allen Lebensbereichen und unternahm mit Max sogar „Probeläufe“ zur Polizeiwache – nur für den Fall.

„Es gab viele schwarze autistische Jungen in unserem Umfeld, und für die Mütter war es so wichtig, ihnen beizubringen, dass sie bei einer Polizeikontrolle die Hände aus den Taschen halten müssen“, sagte sie.

Tragödie nie ganz überwunden

Jedes Jahr gedenkt Herfkens des achttägigen Jahrestags des Absturzes. Sie trinkt einen Schluck Wasser. Sie schenkt sich selbst etwas.

„Ich mag es, mich selbst zu verwöhnen“, sagt sie mit einem Lächeln. „Darin bin ich gut.“

Ihr Trauma ist nie ganz verschwunden. Sie vermeidet es, hinter anderen Passagieren in Flugzeugen zu sitzen. Vietnamesisches Essen kann immer noch Flashbacks auslösen. Doch sie hat nie aufgehört zu überleben.

Selbst Hollywood-Produzenten konnten ihre Geschichte nicht ganz nachvollziehen – sie wollten sie mehr um sie selbst drehen lassen.

„Ich glaube wirklich, dass ich überlebt habe, weil ich über mich selbst hinausgewachsen bin“, sagte sie. „Wenn du dein kleines Ich überwindest, dann beginnen deine Instinkte zu arbeiten, und dann erreichst du etwas.“

Bis heute ist der Dschungel – wo sie alles verlor – ihr Zufluchtsort.

„Er ist seitdem mein ‚sicherer Ort‘“, erklärte sie.

 

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